Haben Sie sich schonmal gefragt, warum es so schwer ist Menschen in Veränderungsprozessen zu mobilisieren? Sie einzubinden und wie man sagt, "mit auf die Reise zu nehmen"? Oder sie nicht zu demotivieren?
Gerade in der jetzigen Zeit erkennt man deutlich, wie komplex solch ein Prozess sein kann. Mehr dazu in diesem Beitrag...
Der Fall des bekannten deutschen Fußballnationalspielers Joshua Kimmich zeigt es recht anschaulich. Kimmich ist sich unsicher, ob er sich impfen lassen soll, da er sich über die Langzeitfolgen Sorgen macht. Mittlerweilen hat er sich leider infiziert. Nebst Kimmich gibt es wohl noch 4 bis 5 andere Spieler im Kader mit ähnlichen Bedenken. Das kann oder muss man so wohl akzeptieren. Da er nicht der Einzige mit diesen für manche berechtigten und anderen unberechtigten Sorgen ist, lohnt sich ein genaueres Hinsehen. Insbesondere deswegen, weil die Gründe für ein Nichtimpfen sehr verschieden sind.
Der Fall Kimmich zeigt auch, es müssen nicht gleich Querdenker“ am Werk sein. Allerdings erleben wir das Ergebnis von all den Menschen, die sich aus verschiedensten Gründen nicht impfen lassen wollen, gerade am eigenen Leib. Nämlich in Form von potenziell einschränkenden Maßnahmen oder im schlimmsten Falle aufgrund voller Intensivstationen. Das heißt nicht, dass die Impfverweigerer an allem schuld sind. Sie tragen aber einen, wie es sich zeigt, enormen Anteil an der derzeitigen Situation. Und der Fall Kimmich hat dabei so etwas bemerkenswert Symbolhaftes im Mikrokosmos Profifußball: Ein kleiner Teil lässt sich nicht impfen – alle verlieren!
Doch lassen Sie uns nochmal genauer hinschauen, welche Gründe es gibt, dass Menschen sich nicht impfen lassen. Aus meiner Sicht unterscheiden sich dabei drei Gruppen: Erstens die überzeugten Impfverweigerer, die sich durch das Statement „ich lasse mich auf keinen Fall impfen“ gegen das aus ihrer Sicht nicht vertrauenswürdige (politische) System stellen und damit ihren Protest ausdrücken wollen. Zweitens die Impfskeptiker, die sich aufgrund von Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen Sorgen um ihre Gesundheit machen, aber gleichzeitig in einer Abwägungsphase zwischen Risiken und Nutzen sind. Dann gibt es noch eine dritte Gruppe, die der Überzeugung ist, dass der Körper stark genug ist und ausreichend Abwehrkräfte hat, um ohne Impfung adäquat mit dem Virus umzugehen.
Mit der ersten Gruppe ist es besonders schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, zu diskutieren. Sie halten ihre Ansicht meist für alternativlos. Primär verläuft ihre Strategie so, dass sie sich Informationen suchen, die ihre festgefahrene Meinung manifestieren. Egal, ob es sich um seriöse oder nicht seriöse Quellen handelt. Es macht wenig Sinn, mit diesen Personen zu diskutieren, da sie das Recht auf eigene Meinung mit dem Recht auf eigene Fakten verwechseln. Bitte nicht falsch verstehen: Die Bereitschaft zum Dialog sollte immer aufrecht erhalten bleiben. Allerdings sollte dieses Bemühen nur dann erfolgen, wenn auch die andere Seite dieser Meinung ist. Ansonsten wird es ein Monolog von beiden Seiten, der wenig Aussicht auf Meinungsänderung hat. Damit kann man sich viel Mühen und Frust ersparen.
Mit den beiden anderen Gruppen verhält es sich anders. Hier hilft es auf jeden Fall den manchmal dünnen Faden des Dialogs in Gang zu halten und Argumente und (wissenschaftliche) Fakten auszutauschen. Sein Gegenüber ernst zu nehmen und auch andere Meinungen auszuhalten.
Go with the flow
Ohne sie gleichzusetzen, könnte man Parallelen dieser drei Gruppen und Mitarbeitern in Unternehmen in Veränderungsprozessen sehen. Die einen sind strikt dagegen und tun alles, um die Veränderung direkt oder indirekt zu verhindern. Sie wollen an alten Mustern und Verhaltensweisen festhalten. Hierbei sei angemerkt, dass dies gute Gründe haben kann und in Veränderungsprozessen berücksichtigt werden sollte. Gleichzeitig ist es gerade zu Beginn schwierig, diese Personen mit auf die Reise zu nehmen. Die andere Gruppe ist dadurch charakterisiert, dass sie unsicher sind, ob die Veränderung positiv ist oder sie erstmal abwarten, was passiert. Sie stellen sich auf jeden Fall nicht aktiv gegen die neue Ausrichtung. Die dritte Gruppe ist hochmotiviert, kann sich mit dem neuen Zielbild identifizieren und agiert proaktiv, um einen Beitrag zur neuen Ausrichtung zu leisten. In etwas differenzierteren Modellen werden sogar bis zu sieben Personengruppen und deren Verhalten in Veränderungssituationen beschrieben – vom Innovator über den frühen bzw. späten Folger, den Abwartenden, den Untergrundkämpfer, den offenen Gegner bis hin zum Emigranten (vgl. Vahs, 2009).
In der Changemanagement-Literatur wird postuliert, dass man sich primär um die Gruppen zwei und drei kümmern sollte. Die Gruppe eins wird unter „vergeudete Liebesmühen“ eingeordnet, die im Idealfall später auf den Veränderungszug aufspringen, wenn er erstmal in Fahrt gekommen ist. Oder das Unternehmen verlassen (müssen), weil sie sich nicht mit der neuen Ausrichtung identifizieren können.
Aber wie sollte man sich um diejenigen bemühen, die einer Veränderung neutral oder sogar positiv gegenüberstehen? Was braucht es, um die „Unentschlossenen“ mitzunehmen und die „Hochmotivierten“ nicht zu demotivieren?
Im ersten Schritt ist es unerlässlich, diese drei Gruppen zu identifizieren. Also herauszufinden, wer überhaupt welche Position in Bezug zur Veränderung hat. Eine klassische Stakeholder-Analyse, auch wenn sie etwas mühselig erscheint, kann hier einen wichtigen Grundstein legen und die zielgruppenspezifische Einbindung sicherstellen.
Haben Sie sich ausreichend mit Ihren Stakeholdern beschäftigt?
Die Zielgruppe und ihre Bedürfnisse
In der Corona-Pandemie kann man sehr schön sehen, dass sich hierüber leider zu wenig Gedanken gemacht wurde. Oder positiv ausgedrückt, immerhin einige wenige Bundesländer sich über ihre verschiedenen Zielgruppen und deren Bedürfnisse bewusst waren. So sollte zum Beispiel mit einer Zielgruppe, die regelmäßig zu ihrem Hausarzt geht anders umgehen als mit einem Personenkreis, der gar keinen Hausarzt hat. So haben es die Bundesländer mit einem klaren Bild der Zielgruppe frühzeitig verstanden, mobile Impfteams aufzubauen, die zu den Menschen gekommen sind oder sie da „abgeholt haben“, wo sie sich am meisten aufhalten.
Sie erkennen schon die Parallelen zum Veränderungsprozess in Unternehmen. Als Unternehmen bzw. Führungsperson sollte man sich intensiv über die unterschiedlichen Verhaltensweisen, Denkmuster, Meinungen und Einstellungen meiner Mitarbeiter im Klaren sein, um sie für das zu mobilisieren, was mir als Führungskraft vielleicht schon klar ist, weil ich mich im Gegensatz zu meinen Mitarbeitern schon lange damit beschäftigt habe.
Die Metapher mit dem vollbesetzten Zug, der in einen dunklen Tunnel fährt, gibt dazu ein passendes Bild. Sie als Lokführer sehen dabei schon viel früher das Licht (Zukunftsbild), während sich der Rest des Zuges noch im Dunkeln befindet. Dies gilt es zu berücksichtigen: in der Kommunikation. Im eigenen Verhalten. In der Beachtung der motivationalen Lage und Bedürfnisse der Mitarbeiter.
Bekämpfung gemeinsamer Feind oder Vermittlung eines attraktiven Zukunftsbildes
Ein weiterer wichtiger Aspekt insbesondere in Veränderungsprozessen – ob in Organisationen oder bei der Mobilisierung der Bevölkerung in einer Pandemie – ist die Vermittlung eines gemeinsamen Zukunftsbildes. Oder in manchen Fällen metaphorisch auch eines gemeinsamen Gegners, den es zu besiegen gilt.
Ein gutes Beispiel für letztgenannten Ansatz ist Portugal mit einer Impfquote von 88 Prozent der Bevölkerung über 12 Jahren. Laut Medienberichten war der Erfolgsfaktor dabei eine Person, die früher Fregatten und U-Boote kommandierte. Der Konteradmiral der Marine, der im Februar die Koordination der nationalen Impfkampagne von einem Zivilisten übernahm, bediente sich aufgrund seiner Vorgeschichte natürlich eines militärischen Terminus und fand dabei scheinbar die richtigen Worte: „Ich habe der Bevölkerung klargemacht, dass wir uns im Krieg gegen das Virus befinden und uns zusammentun müssen, um gegen es zu gewinnen und unsere Kinder davor schützen“, sagte der Impfkoordinator der Zeitung „Die Welt“.
Aus strategisch-psychologischer Sicht hat er damit einen interessanten Aspekt aufgegriffen. Er hat ein Feindbild geschaffen, dass man nur gemeinschaftlich besiegen kann. Die Ergänzung, dass man damit die eigenen Kinder im Lande schützt, vermittelte sofort allen Beteiligten im Lande eine klare Sinnhaftigkeit und mündete scheinbar in Geschlossenheit.
Aber natürlich funktioniert das ganze auch ohne Kriegsmetapher und dem Besiegen eines Gegners. Es ist mindestens genauso erfolgsversprechend, wenn man ein motivierendes und inspirierendes Zukunftsbild entwickelt, das man aufgrund seiner Sinnhaftigkeit gemeinsam erreichen möchte.
Mal angenommen wir wären alle geimpft…
…und könnten wieder ganz normal leben. Das könnte ein sehr attraktives Zukunftsbild sein. Wenn Sie sich auf dieses Gedankenexperiment einlassen, werden Sie vielleicht merken, dass es eine positive Sogwirkung auf Sie auswirkt. Doch genau dieses erstrebenswerte Zukunftsbild hat man in der Pandemiebekämpfung leider viel zu selten gehört – zumindest nicht einheitlich. Dies hatte zur Folge, dass sich nur zaghaft ein Gemeinschaftsgefühl eingestellt hat und eine Vision, für die es sich lohnt, „zu kämpfen“. So wie es damals Martin Luther King mit seiner bekannten Rede geschafft hat die Menschen zu mobilisieren, ohne ein Feindbild aufzubauen. Er hatte einen Traum und konnte damit die Menschen „infizieren“ (mehr dazu unter: https://www.bridge-brain.com/post/die-macht-der-mobilisierung-was-unternehmen-von-aktivisten-lernen-konnen).
Etablierung von passenden Rahmenbedingungen als wirksamer Umsetzungsmuskel
Aber es kommt natürlich nicht nur auf eine gute Stakeholder-Analyse und ein inspirierendes, gemeinschaftliches Zukunftsbild an, sondern auch auf die Schaffung von passenden Rahmenbedingungen, die die Veränderung unterstützen.
Auch hier ist Portugal wieder ein gutes Beispiel für die Etablierung passender Strukturen und Prozesse, die entsprechend den Zielen und Strategie inspiziert bzw. angepasst wurden.
Auch hier trat wieder der Spezialist für schwierige Kampfmissionen in den Vordergrund und etablierte ausgearbeitete Impfstraßen, die generalstabsmäßig durchgeplant und zum Beispiel in Sporthallen installiert wurden. Die strukturelle Aufstellung war dabei die Grundlage für solch ein Vorgehen. "Menschen im Militär sind es gewohnt, in unsicheren Umgebungen unter Stress zu arbeiten", sagte der General. "Sie sind organisiert, logistisch gut aufgestellt … und meist sehr fokussiert auf die Mission." (Wedekind, ntv, 04.10.21).
Parallelen zu Unternehmen sind auch hier wieder zu erkennen, wenn man sich die Strukturen und Prozesse anschaut, die bestmögliche Ergebnisse erzielen sollen. Aus unserer Sicht stellt sich immer die Frage, ob diese so gestaltet sind, dass sie die Erreichung der Unternehmensziele optimal unterstützen und flexibel angepasst werden können, wenn sie dies nicht mehr tun.
Oder sorgen die Strukturen und Prozesse dafür, dass die so oft geforderte Verantwortungsübernahme der Mitarbeiter, wirklich realistisch eintrifft. Oder sind die Anreizsysteme so gestaltet, dass sie das gewünschte Verhalten unterstützen, glaubwürdig und passend zur jeweiligen Zielerreichung sind. In der Pandemie hat man auch den Anreiz eines Geldbetrages oder einer Bratwurst als Gegenleistung für das Impfen thematisiert. Schnell wurden die Ersten skeptisch und vermuteten eine Verschwörung. Getreu dem Motto, „…wenn ich eine Gegenleistung bekomme, muss etwas faul an der Sache sein“.
Die Köpfe an der Spitze haben großen Einfluss
Und zu guter Letzt spielt natürlich das Verhalten bzw. die Vorbildfunktion der obersten Führungsmannschaft im Unternehmen eine entscheidende Rolle. Auch hier kann man im Verlauf der Pandemie gut beobachten, welchen Referenzpunkt sich die Menschen zu eigen machen. Fühlen sie sich eher zu kritischen Politikern, Popstars, Schauspielern oder Sportlern hingezogen und sehen diese als Vorbild. Oder werden sie von solchen Führungspersonen angesprochen, die der Impfung bzw. Veränderung positiv gegenüberstehen. Auch hier ist es interessant nach Portugal zu schauen, die unter anderem ihre Soldaten öffentlichkeitswirksam impfen ließen, um Vertrauen zu schaffen.
Zudem ist die nicht vorhandene Geschlossenheit der deutschen (politischen) Führungsmannschaft kein Vorbild. Sicher auch dem Wahlkampf geschuldet. Allerdings würde man sich in solch einer Krise ein klares gemeinsames Ziel und eine einheitliche Strategie wünschen, die alle verstehen und die klar kommuniziert wird. Und ehrlich gesagt nicht nur wünschen, sondern als Grundvoraussetzung sehen, um Menschen zu mobilisieren und Vertrauen zu schaffen. Insbesondere wenn man davon ausgeht, dass es die drei oben beschriebenen Gruppen gibt. Oder würden Sie sich einer Bewegung anschließen, bei der alle Führungspersonen in verschiedene Richtungen laufen?
Und was lernen wir nun aus der Impfkampagne…?
In a nutshell…sind es aus meiner Sicht vier Kernfragen, die zu mehr Klarheit führen.
1. Kenne ich meine Zielgruppe sehr genau und berücksichtige ihre Bedürfnisse?
2. Vermittle ich ein gemeinsames, sinnhaftes Zukunftsbild (oder/und Feindbild)?
3. Schaffe ich Rahmenbedingungen, die meine Zielerreichung klar unterstützen?
4. Agiert die Führungsmannschaft als vertrauensvolles Vorbild, indem sie klar und einheitlich kommuniziert und handelt?
…und natürlich gibt es noch mehr Aspekte, die es zu berücksichtigen gibt. Wenn diese aber schon mal das Fundament bilden, kann der Rest folgen.
In diesem Sinne. Viel Spaß beim „boostern“ Ihrer Organisation!