Unser BridgeBrain Dr. Gregor Nimz hat ReduRisk-Geschäftsführer Hannes Fischer dazu ein Interview gegeben.
Was genau passiert im Kopf, wenn sich eine Niederlage anbahnt?
Niederlagen und Fehler tun in erster Linie weh. Das ist aus neuropsychologischer Sicht ein echter, schmerzhafter Reiz, wie wenn ich mir den Fuß stoße. Man realisiert, dass man ein gestecktes Ziel, auf das man sich in den meisten Fällen sehr lange vorbereitet und viel Zeit investiert hat, nicht erreicht. Das ist emotional schmerzhaft.
Wie wir damit umgehen, hängt viel von der Erziehung und den Erfahrungen ab, die wir in unserem Leben gemacht haben. Wurde z.B. in der Kindheit versucht, Fehler und Scheitern von mir fern zu halten, dann habe ich womöglich sehr spät gelernt, mit Rückschlägen umzugehen. In der Folge versuche ich solche Situationen zu vermeiden, zu leugnen oder zu verdrängen. Aber im Leben kommen solche Situationen nun mal häufig vor. Das wissen und erfahren wir alle im täglichen Leben.
Diejenigen, die mit Fehlern, Rückschlägen oder Scheitern sehr gut umgehen können, sehen nach einer eher kurzen „Trauerphase“ sehr schnell wieder Licht am Ende des Tunnels. Sie analysieren, warum sie gescheitert sind und lernen aus dieser Erfahrung was sie beim nächsten Mal anders machen können. Getreu dem Motto „fail, analyze & learn“. Im Anschluss setzen sie sich schnell wieder neue Ziele, die sie motivieren.
In der Psychologie gibt es zudem ein Phänomen, das nennen wir kognitive Dissonanz. Einfach gesagt ist es ein unangenehm empfundener Gefühlszustand. Er entsteht dadurch, dass zwei Gedenken, Wünsche, Einstellungen oder Wahrnehmung in Konflikt stehen. Wir Menschen streben danach, diesen inneren Konflikt auflösen zu wollen, um wieder in ein inneres Gleichgewicht zu kommen.
Zum Beispiel habe ich mit meinem Unternehmen das feste Ziel im Auge, dieses Jahr ein Produkt auf den Markt zu bringen. Allerdings merke ich, dass dies nicht gelingt. Das ist natürlich ein unangenehmes Gefühl. Also suche ich nach einer Erklärung, um dies aufzulösen. Ich könnte also zu mir sagen, dass ich dafür nächstes Jahr gleich zwei Produkte zur Markttreife führe, die dann noch viel besser sind. Dadurch wird das „Scheitern“ in diesem Jahr aufgelöst und ich werde mich besser fühlen. Ich versuche also als Unternehmer in diesem Beispiel die „kognitive Dissonanz“ auszugleichen, in dem ich mir ein neues Ziel setze.
Was sind die gängigsten Mechanismen, um mit solchen kognitiven Dissonanzen umzugehen?
Hier reagiert jeder anders. Es gibt Menschen, die verdrängen und ignorieren das Problem oder vergessen es sogar wirklich und machen einfach weiter.
Andere suchen nach neuen Informationen und neuen Blickwinkeln, um diese kognitive Dissonanz aufzulösen und den eigenen Standpunkt zu bestätigen. Raucher zum Beispiel wissen genau, dass Rauchen ungesund ist. Wenn man gezielt nach Rauchern sucht, die sehr alt geworden und gesund geblieben sind, ist dieser Fakt gefühlt widerlegt. Man hat den eigenen Standpunkt bestätigt und die kognitive Dissonanz aufgelöst.
Und schließlich können auch Wünsche, Absichten oder Einstellungen aufgegeben oder angepasst werden, um mit dem unangenehmen Gefühlszustand besser umgehen zu können.
Was können Wege oder Mechanismen sein, um sich selbst immer mal wieder den Puls zu messen, ob man als Unternehmer auf dem richtigen Weg ist? Kann man sich ein eigenes „Warnsystem“ bauen?
Ein guter Weg sind interne Zielsetzungen. Also klare objektiv erfassbare Meilensteine wie zum Beispiel der Umsatz für einen Monat oder das Erreichen konkreter Vertriebsziele.
Wichtig ist, dass diese Meilensteine keinen Interpretationsspielraum lassen und klar ist, was passiert, wenn sie nicht erreicht werden. Nach der SMART-Formel sind geeignete Ziele spezifisch, messbar, anpassungsfähig, realistisch und termingebunden.
Es hilft natürlich auch, Szenarien zu entwickeln was passiert, wenn man seine Meilensteine nicht erreicht und vor allem wie man dann damit umgeht. Da helfen sogenannte „Wenn-Dann-Strategien“. Was machen ich ganz konkret, wenn Situation XY eintritt. Wenn ich das zu einem Zeitpunkt durchspiele, zu dem alles gut läuft, und konkrete Handlungsszenarien entwerfe, werde ich in der vermeintlichen Notsituation ganz anders und besserreagieren können. Das ist vergleichbar mit einem Piloten, der beim drohenden Absturz genau weiß, was zu tun ist, um das Flugzeug doch noch sicher zu landen. Er hat diese Situation tausendfach trainiert und ist darauf gut vorbereitet.
Und natürlich sollte ich mir sehr bewusst darüber sein, was als Unternehmer für Konsequenzen auf mich zukommen, wenn ich mein Frühwarnsystem komplett ignoriere. Das sind dann in erster Linie Fragen der Haftung – sei es mit Privatvermögen oder sogar als Person mit strafrechtlichen Konsequenzen. Dies sollte nicht dazu führen, dass ich als Unternehmer ständig ängstlich handle. Vielmehr sollte es meine Entscheidungen leiten, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
Im Sport sind Niederlagen häufiger und klarer. Nach 90 Minuten steht beim Fußball ein Ergebnis fest und darauf hat der Spieler keinen Einfluss mehr. Bei einem Unternehmer ist das häufig anders. Wie kann man selbst merken, dass man sich in einem der oben genannten Mechanismen befindet und die Situation falsch einschätzt?
Das ist schwierig. Natürlich wollen wir insbesondere als Unternehmer Erfolg haben. Das treibt an und setzt die nötige Energie frei. Es ist also eine große Stärke. Ohne diese Energie wären Ideen, die zu einer Unternehmung führen, schnell wieder gestorben. Ein erfolgreicher Sportler oder Unternehmer hat also die Gabe, die wichtigen von den unwichtigen Dingen unterscheiden zu können und sich darauf zu 100 % zu fokussieren.
Wenn es aber dauerhaft nicht gut läuft im Business oder sich das Geschäftsmodell nicht als nachhaltig erweist, muss ich auch wissen, wann Schluss ist. Wenn man diesen Zeitpunkt verpasst, reden wir uns vielleicht ein, dass es noch eine Chance gibt, dass der eine große Auftrag noch kommt oder der Kunde, an dem wir schon ewig arbeiten, doch noch unterschreibt.
Hier hilft eine Außenperspektive. Das kann ein qualifizierter Berater sein oder für den Anfang auch eine Person aus dem Freundeskreis, mit der man offen sprechen kann. Wichtig ist, dass derjenige alle Informationen bekommt und auf dieser Basis die Situation klar analysieren kann. Außerdem funktioniert das nur, wenn man selbst dieser Person wirklich zuhört und glaubt – auch und besonders, wenn die Aussage ist: Du, das kann nichts mehr werden.
Hier kann es helfen, sich neue Ziele zu setzen. Der erste Impuls ist oft, sich einzugraben. Je schneller man es aber schafft wieder in die Aktivität zu kommen und ein neues Ziel zu verfolgen, umso besser ist es für einen selbst und für das Unternehmen.
Im Leistungssport sprechen wir hier von zwei Verhaltenspräferenzen von Athleten: den handlungs- und den lageorientierten Sportler.
Wenn der lageorientierte Sportler das Endspiel um die deutsche Meisterschaft verloren hat, schließt er sich weg und trauert dieser Niederlage noch sehr lange nach. Er verliert sich in den Details, die das Spiel aus seiner Sicht entschieden haben, und zieht sich damit immer weiterrunter.
Der handlungsorientierte Sportler geht sehr schnell in eine klare Analyse und dann wieder in die Aktion und ins Handeln. Erschafft es meist sehr schnell, wieder Fahrt aufzunehmen und sich neue Ziele zusetzen.
Welche Techniken werden im Sport angewendet, um einen lageorientierten Sportler aufzufangen und ihm zu helfen, mit der Situation umzugehen?
Mit lageorientierten Sportlern kann man daran arbeiten, die Niederlage einzuordnen, zu verarbeiten und seine Lehren daraus zuziehen. Der Fokus liegt darauf, was ich beim nächsten Mal anders machen kann. Man hilft ihm, das Thema schnellerabzuhaken und nicht zu lange zu grübeln, warum das Ganze gescheitert ist und wer schuld daran ist.
Im Anschluss könnte man anfangen eine neue Zielsetzung zu definieren. Was ist die nächste Herausforderung, der ich mich stellen möchte? Hier geht es darum, seine Aufmerksamkeit auf die Zukunft zurichten und nicht zu sehr in der Vergangenheit zu verharren.
Was sind Ansätze, um nach einer Niederlage wieder auf die Beine zu kommen?
Das wichtigste ist eine klare und gründliche Analyse. Hier sollte man aber keinesfalls aufhören, wenn man alle Gründe gefunden hat, warum es nicht funktioniert hat. Mit der gleichen Akribie sollte auch analysiert werden, was gut funktioniert hat und worauf man aufbauen kann. Das verändert den Blick und macht aus einer Niederlage ein echtes Learning.
Danach kommt der Schritt, das Kapitel auch wirklich abzuhaken. Da hilft es oft einen symbolischen Akt oder ein Ritualdurchzuführen:
Wir haben das einmal mit einer Eishockey-Mannschaft gemacht, die einen wirklich miesen Saisonstart hatte. Wir haben im Team besprochen, was sich alles ändern muss. Als für jeden klar war, wie die Dinge in Zukunft laufen sollen, haben wir gemeinsam einen symbolischen Reset-Knopf gedrückt. Durch so ein Ritual als Abschluss einer gründlichen Analyse kann man dann auch wirklich eine Zäsur setzen und einen Neustart mit neuer Energie hinlegen.
Der Gesetzgeber bietet inzwischen zahlreiche Möglichkeiten ein Unternehmen mit und ohne Insolvenz diskret zu sanieren. Somit sind inzwischen auch die Möglichkeiten für einen Neustartdeutlich besser und einfacher geworden. Eine Sanierung eines Unternehmens oder eine Insolvenz ist sicher nicht so schnell abgearbeitet wie eine Niederlage im Sport – es ist aber auch kein Thema mehr, dass man sein ganzes Leben mit sich herumschleppen muss.
Was sind noch weitere Rituale, die man hier nutzen kann, um den Neustart „erlebbar“ zu machen?
Das würde ich nicht ganz unterschreiben. Stellt man sich nur mal vor, dass sich ein Olympionike vier Jahre oder länger auf sein Highlight, die Olympischen Spiele, vorbereitet und diesem Ziel allesunterordnet – das Studium auf Eis legt, die Familienplanung nach hinten schiebt und Freundschaften vernachlässigt Insbesondere in den Sportarten, die nicht jedes Wochenende im Fernsehen laufen und die keinen Profi-Status haben, kann die Plattform Olympia bei erfolgreichem Abschneiden eine große Bekanntheit und in der Folge auch dringend notwendige Sponsorengelder – oder deren Wegfall nacheinem schlechten Abschneiden – bedeuten. Da bekommt ein sportliches Scheitern schon eine vergleichbare Gewichtung zu einer Insolvenz. Da kann es auch um Existenzen gehen.
Abgesehen davon können das aber im Sportkleine Rituale sein, die Einzeln oder im Team gemacht werden, um Fehler besserabzuhaken. Ein Profigolfer hat sich zum Beispiel mal eine imaginäre Linie gesetzt, über die er nach jedem schlechten Schlag gelaufen ist. Sobald er über diese Linie gegangen ist, war der misslungene Schlag abgehakt.
Als Unternehmer bietet es sich an, wirklich eine Deadline zu setzen, die mit etwas positivem verknüpft ist. Beispiel:„ Heute schließe ich bis 13 Uhr die Analyse der Fehler und Learnings ab. Dann wandert der gesamte Vorgang ins Archiv und ich führe meine Frau zum Mittagessen aus“. Es muss nichts Großes sein, wichtig ist nur das Signal ans Gehirn: Jetzt ist es abgeschlossen.
Ein anderer Weg, um eine Niederlage einzuordnen, ist sie ins Verhältnis zu stellen. Es gibt neben der Firma viele andere Aspekte im Leben die wichtig sind: Familie, Freunde, Sport, Hobbies etc. Das kann helfen, die Niederlage, das Scheitern einzuordnen und zu gewichten.
Das stelle ich mir in der akuten Situation sehr schwierig vor. Vor allem kommt bei Unternehmern häufig noch die Existenzangst hinzu durch das wegfallende Einkommen oder sogar Schulden. Wie kann man hier ansetzen?
Das ist in der Tat eine sehr schwierige Situation und braucht auch Zeit, um es zu begreifen und emotional zu verarbeiten. Gleichzeitig muss man aber auch „weiter funktionieren“ und Entscheidungen treffen.
Hier kann es helfen, wenn man sich an vergangene Niederlagen erinnert und vor allem daran, wie man sie überwunden hat. Es zeigt einem, dass man wieder aufstehen kann und dass es immer weitergehen kann. Zudem hilft auch die Erinnerung an Erfolge aus der Vergangenheit, um sich wieder aufzurichten. Darin stecken sehr viele Ressourcen, um anders mit der Situation umgehen zu können. Wenn man aber schon in dieser schwierigen Situation drin ist, dann fällt das schwer. Da kann ein Blick von außen, zum Beispiel ein Coach als Sparringspartner, helfen.
Gegen die Existenzangst hilft auch, sich konkret über Alternativen Gedanken zu machen. Menschen, die ein Unternehmen geführt haben, haben ein breites Skillset, das oft sehr gefragt ist. Das ermöglicht auch eine Umkehrung der Deutung im Kopf: aus „Weg von der Insolvenz oder Sanierung“ wird „Hin zu etwas Neuem“. Das ist ein entscheidender Punkt in der Aufmerksamkeitsfokussierung. Konzentriere ich mich darauf etwas loszuwerden oder auf das, was ich in Zukunft anstrebe.
Eine Niederlage ist nicht immer gesetzt, sondern manchmal abwendbar. Was kann ich tun, um noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren? Wie lautet mein innerer Monolog hier?
Ein Elfmeterschütze, der zum Punkt geht und nicht vor seinem geistigen Auge sieht, wie der Ball ins Netz geht, sollte nicht schießen. Je klarer man sich den Erfolg seiner Handlungen vor Augen führt, umso wahrscheinlicher ist, dass er eintritt. Mein innerer Dialog sollte also sein: „Den schieße ich genau oben rechts rein“. Nicht: „Oh je, hoffentlich geht er nicht wieder wie beim letzten Mal an die Latte“. Dann wird der Gedanke schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
Im mentalen Training übt man genau das. Ein Skifahrer stellt sich die Rennstrecke im Detail vor und geht diese im Kopf vor der Abfahrt durch. Er fährt also jede einzelne Kurve, jeden Buckel mental ab. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die reine Vorstellung der Handlung genau dieselben Regionen im Gehirn aktiviert, wie es bei der tatsächlichen Ausführung der Fall ist. So prägt sich ein Handlungsplan im Gedächtnis schon vor der eigentlichen Durchführung sehr genau ein. Je häufiger man das durchspielt, umso klarer wird der Handlungsplan. Man kann seine Tätigkeit und den Erfolg also schon voraus denken und so die neuronalen Netzwerke aktivieren.
Das bedeutet im Business: Werden Sie aktiv und stellen Sie sich Ihre Handlungen und den positiven Ausgang vor – sehr konkret. Das können schwierige Gespräch mit einem Mitarbeiter, eine Rede vor großem Publikum oder eine andere Herausforderung sein.
Doch auch hier gilt: Wer seine objektiv gesetzten Ziele nicht erreicht, sollte sich das eingestehen und handeln. Allein die Vorstellung des positiven Ausgangs kann kein Unternehmen retten.