Stellen Sie sich mal vor,...
.... Sie sind CEO eines Unternehmens, setzen Ihre VR-Brille auf, mit der Sie in jede Ecke Ihres Unternehmens unmittelbar hineinspüren können...
...Sie fühlen die Stimmungen in den einzelnen Bereichen des Unternehmens, hören ein leises Quietschen, wenn irgendwo Reibungsverluste entstehen und wenn Sie in den Bereich reinzoomen, wird Ihnen angezeigt, dass das Quietschen aus einer Überlastung der Mitarbeiter resultiert. Im Menüpunkt "Hotspots",sehen Sie Vorschläge für Themen, die den Menschen in Ihrer Organisation derzeit besonders wichtig sind und auf die Sie in Ihrem nächsten Video-Blog eingehen können. Einen Swipe weiter sehen Sie auf grafischen Organisationslandkarten, wie sich Strukturen und Prozesse durch eigenverantwortlich handelnde Teams in Echtzeit agil auf veränderte Marktanforderungen anpassen.
In der oben beschriebenen Form? Möglicherweise. Aber im Bereich von Mitarbeiterbefragungen ist der Gedanke der Real-Time-Messung schon längst in der Realität angekommen. Produkte wie die von Peakon oder Culture Amp sind nur zwei Beispiele für Lösungen, die darauf abzielen, der eigenen Organisation den Puls fühlen zu können, um auch entsprechend zu handeln – jederzeit.
Durch regelmäßige Mikrobefragungen zu spezifischen Themen und digitale Kommunikationselemente sind Mitarbeiter, Führungspersonen und HR mithilfe dieser Tools im unmittelbaren Dialog, und zwar auf Ebene der Organisation, des Teams und des Individuums. Die klassische Mitarbeiterbefragung, die einmal im Jahr durchgeführt und drei Monate später veröffentlicht wird, um dann in die Bedeutungslosigkeit verbannt zu werden, wird hierdurch in Frage gestellt.
In deutschen Unternehmen sind Tools wie Peakon oder Culture Amp bislang nur bei den wenigsten Unternehmen im Einsatz. Im 2018 erschienenen Buch "TalentWins" des damaligen weltweiten McKinsey-Chefs Dominic Barton und zweier weiterer profilierter Autoren, wird der Digitalisierungsgrad im HR-Bereich mit dem von Controllingabteilungen vor der Einführung von Excel verglichen. Messungen im HR-Bereich beschränken sich in Deutschland doch sehr oft auf Headcount, Krankenstand und Fluktuation.
Wenn es dann im nächsten Schritt darum geht, aus den Mitarbeiterbefragungen Schlüsse zu ziehen und Interventionen im Bereich Organisations- und Teamentwicklung durchzuführen, sind die Formate und Instrumente ebenfalls noch zu oft auf dem Stand von 1995. Workshop – externer Moderator - Flipchart – Fotoprotokoll: das war's. Wenn Sie jetzt fragen, was an dem Modell schlecht ist? Per se erstmal gar nichts, aber es geht besser.
Wenn Organisationen neue Arbeitsweisen für veränderte Rahmenbedingungen und Geschäftsmodelle etablieren wollen, muss der Weg zu diesen neuen Wegen vielleicht auch anders sein. Sich mit Agilität zu beschäftigen, aber lineare OE-Prozesse aufzusetzen, ist ein Widerspruch in sich. Ein wichtiger Schritt hin zu agilerer Organisationsentwicklung beginnt daher mit dem Prozess.
Im klassischen Modell werden zentrale Fragen wie Vision, Werte oder Strategie häufig in 1-2-Tagesworkshops bearbeitet. Daraus werden dann Maßnahmen abgeleitet und idealerweise umgesetzt.An diesem Format ist erstmal gut, dass man sich für große Fragen in ein anderes Umfeld begibt und sich für die Diskussion viel Zeit nimmt. Dennoch kann der Anspruch, in so einem Workshop Fragen zu klären, die teilweise über Jahre nicht beantwortet wurden, zu einer klaren Überforderung führen.
Im schlimmsten Fall sind die Teilnehmer am Ende des ersten Tages schlicht müde und der Moderator moderiert etwaige Unschärfen und Widersprüche einfach raus. Die Teilnehmer sind erstmal vielleicht zufrieden, aber bei der späteren Umsetzung der Erkenntnisse hakt es dann.
Wir haben in unseren Projekten die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, große Themen in einer Sprintlogik zu bearbeiten. Hierbei wird das große Thema in kleinere Leitfragen aufgeteilt, die von den Teilnehmern nach einem einstündigen Kick-Off eigenverantwortlich entweder alleine oder in Kleingruppen bearbeitet werden. Nach ein bis zwei Wochen gibt es dann ein ca. 2-stündiges Review, bei dem der aktuelle Stand im Plenum diskutiert und abgestimmt wird. Anschließend geht es dann auf die nächsten Leitfragen, etc. Nach 2-4 Sprints sind dann selbst größere Themen gut bearbeitet.
Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass die Durchdringungstiefe bei den Teilnehmern deutlich höher ist. Durch individuelles Arbeiten an einzelnen Fragen werden gegenseitige Beeinflussungseffekte reduziert und die Teilnehmer identifizieren sich deutlich stärker mit den Ergebnissen. Außerdem können sich die einzelnen Erkenntnisse auch zwischendurch setzen. Lerntheoretisch ein wichtiger Aspekt.
Zur Vorbereitung solcher Prozesse arbeiten wir bei BridgeBrain zunächst mit einer Onlinebefragung – dem BridgeBrain-Index (Zeitaufwand ca. 15. Minuten).
Hierbei geht es um die Bewertung zentraler Dimensionen, die für jede Organisation und jedes Team wichtig sind. Dazu gehören u.a. Marktorientierung, Klarheit und Mobilisierungskraft von Vision, Zielen und Strategien, aber auch die Frage, wie gut die Strukturen, die Führung und die Kultur die Zielerreichung unterstützen. Dieser 360°-Blick macht wesentliche Handlungsfelder transparent. Gleichzeitig wird ermittelt, wie ähnlich oder unterschiedlich die einzelnen Beteiligten die Situation des Unternehmens bewerten. Daraus können zielgerichtete Fragen abgeleitet werden.
Die Bearbeitung dieser Fragen geschieht dann an einem eigens für Organisations- und Teamentwicklungsprozesse von uns entwickelten zweiten digitalen Tool, dem BOBB (Board of the Organizational BridgeBrain). Dieses Instrument funktioniert ähnlich wie die von Osterwalder und Pigneur entwickelte Business Model Canvas. Anhand von vorstrukturierten Themenfeldern und dazugehörigen Leitfragen, werden dieTeilnehmer auf Kerngebiete gelenkt, die sie selbständig online bearbeiten können.
Auf der obersten Ebene wird die Gesamtsicht auf die Organisation dargestellt und in acht Themengebiete untergliedert (Abb.2).
Wenn Vertiefungsbedarf besteht, zum Beispiel zu Zielen und Strategie oder zu Kultur und Werten, gibt es entsprechende weitere Frameworks, die ebenfalls selbstständig bearbeitet werden können. Das "Vision & Purpose Board"ist hierfür ein Beispiel (vgl. Abb. 3) Der Einsatz von OE-Beratern ist bei all diesen Boards minimal.
Die Reviews können in Präsenz oder online durchgeführt werden. Wir haben – nicht zuletzt durch Corona – gelernt, dass viel mehr Themen online bearbeitet werden können, als wir das früher gedacht hätten. Insbesondere bei sehr emotional besetzten Themen ist es aber nach wie vor hilfreich, dass die Prozessbeteiligten zumindest bei einem Teil der Reviews persönlich zusammenkommen können.
Letztlich bedeutetSelbstregulation für Organisationen, den eigenen Zustand unvoreingenommen und klar zu erkennen und auf etwaige Ungleichgewichte eigenverantwortlich reagieren zu können, um die Balance wiederherzustellen.
Digitale Instrumente, wie die vorab beispielhaft genannten, geben Unternehmen Möglichkeiten an die Hand, mithilfe derer sie quasi permanent ihren eigenen Zustand erfassen können. Gleichzeitig geben solche Ansätze auch direkt Hilfestellung, wie mit bestimmten Fragen selbstständig umgegangen werden kann.
Dies reduziert auch die Abhängigkeit von Unternehmensberatern, da die Instrumente so viel Orientierung geben, dass viele Fragen durch Teams im Unternehmen selbst geklärt werden können. Berater werden dabei vielleicht nicht ganz obsolet, aber sie können bei den Themen hinzugezogen werden, bei denen ein wirklicher Mehrwert entsteht.
Außerdem trägt die agilere Sprintlogik dazu bei, dass Themen unaufwendiger in kleinen Schritten bearbeitet werden können. Dadurch sinkt die Barriere, sich mit wichtigen Fragen, für die man vermeintlich gerade keine Zeit hat, auseinanderzusetzen.
...aber dennoch zeigt sich bereits an diesen wenigen Beispielen, dass es bereits heute viele Möglichkeiten gibt, Organisations- und Teamentwicklung auf ein neues Level zu heben. Das wäre ja schon mal was.