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Stoppt Corporate Sprech!
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Dieser Beitrag ist ein Appell zur Pandemiebekämpfung. Allerdings nicht gegen Corona, sondern gegen eine noch länger andauernde Unternehmenskrankheit: Corporate-Sprech.

Selbstdiagnose

Geben Sie es zu, liebe Frau oder lieber Herr CEO. Auch Sie träumen manchmal von einem "agilen Mindset" Ihrer Mitarbeiter, um mit Ihren Kollegen den Markt zu "disrupten" und anschließend "triple-digit-growth" zu erreichen.

Um das vorweg zu nehmen: Dagegen ist ÜBERHAUPT nichts zu sagen und sie sind damit wahrscheinlich auch nicht alleine. Im Gegenteil. Für eine(n) ehrenwerte(n) Kauffrau oder Kaufmann in einer modernen VUCA-Welt ist das ein zutiefst gesundes Zukunftsbild.  

Aber SPRECHEN Sie dann auch in diesen Worthülsen zu Ihren Mitarbeitern? Wenn ja, dann leiden Sie - und möglicherweise auch der Rest Ihrer Organisation - unter einer sehr weit verbreiteten Unternehmenskrankheit: "Corporate-Sprech".

Diese Krankheit zieht sich seit Jahrzehnten durch die globale Unternehmenswelt und hält sich hartnäckig im alltäglichen Sprachgebrauch auf Chefetagen aber auch in Durchschnittsmeetings. Gelegentlich kommt es auch zu Masseninfektionen bei Superspreader-Events (z.B. Videoansprache des CEO an die Belegschaft).

In leichteren – allerdings leider noch viel verbreiteteren Ausprägungen – zeigt sich Corporate-Sprech auch dann, wenn an sich nachvollziehbare, aber sehr generische Worte durch andere, gleichermaßen generische Worte erklärt werden. Also beispielsweise: "Um agiler zu werden, brauchen wir eine Vertrauenskultur, die durch Offenheit geprägt ist. Außerdem ist das Empowerment der Mitarbeiter entscheidend." Das ist zwar grundsätzlich wahrscheinlich für viele Organisationen absolut richtig: Aber was heißt das? Was machen wir ab Montag morgen genau anders? Wie zeigt sich das im täglichen Umgang? Wie ist dies mit unseren Zielen verknüpft, die wir gemeinsam erreichen wollen?

Das Mittel gegen Corporate-Sprech ist die Erkenntnis: "Menschen arbeiten mit Menschen"

Organisationen sind soziale Systeme. Anders gesagt: In Unternehmen arbeiten Menschen mit Menschen. Diese an sich wenig überraschende Erkenntnis wird kommunikativ in vielen Unternehmen zu oft mit Füßen getreten.

Problematisch ist das deswegen, weil Menschen dann a) oft genug schlicht nicht verstehen, wohin die Reise gehen soll und b) sich auch emotional überhaupt nicht angesprochen fühlen. In nahezu allen anderen Lebensbereichen, sind Menschen es gewohnt, prägnant und emotional aufgeladen angesprochen zu werden, beispielsweise als Social-Media-Konsument, bei Wahlkampfveranstaltungen oder durch die Werbung. In Unternehmen hingegen regiert häufig das inhaltsleere Gefasel.

Gerade in turbulenten Zeiten wie diesen, ist allerdings das Erreichen der Mitarbeiter eine entscheidende Voraussetzung dafür, die Organisation zu mobilisieren und gemeinsam durch raue Gewässer zu segeln.

Die Suche nach einem Impfstoff. Lernen von den Besten!

Um dieser Seuche Herr zu werden, bietet sich als Forschungsansatz ein Blick auf Mobilisierungsstrategien in politischen Kontexten an, z.B. bei sozialen Bewegungen. Schließlich muss in dieser Sphäre fast ausschließlich durch das Wort mobilisiert werden, weil Hierarchie und Geld schlicht nicht (ausreichend) zur Verfügung stehen (siehe dazu auch Blogbeitrag: "Die Macht der Mobilisierung").

Begnadete Führungspersönlichkeiten wie Martin Luther King oder Gandhi haben es vorgemacht: Die Mobilisierung mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort, oder der kleinen, symbolhaften Geste. Aber auch unabhängig von Einzelpersonen haben Organisationen wie Greenpeace gezeigt, welche Kraft in eindrücklichen "David-gegen-Goliath-Bildern" steckt, die die Ziele der Organisation verdeutlichen.

Die Wirkmächtigkeit dieser Kommunikation resultiert aus einer facettenreichen Logik, die zu einem Ansatz für Unternehmen führen kann. Analysieren wir doch mal die einzelnen Bestandteile, um die Wirkstoffe des Impfstoffs zu identifizieren.

Die Basis des Wirkstoffs: Der Frame

Am Anfang jeder Mobilisierung in politischen Kontexten steht das Framing - sozusagen die Erzeugung eines Deutungsrasters für ein bestimmtes Thema. Je nach Ausgestaltung eines Frames wird damit eine Windkraftanlage im Taunus zu einem Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise oder zu einem Umweltverbrechen an den umliegenden Wäldern.

Der Aufbau eines Frames in politischen Kontexten folgt dabei häufig einer semantischen Struktur, die in der nachfolgenden Grafik dargestellt ist.

Wie man daraus erkennen kann, liefert der Frame einen werteorientierten Erklärungszusammenhang, der Antworten darauf gibt, warum Menschen sich für oder gegen etwas einsetzen sollten.

Insbesondere werden folgende Themen adressiert

a) Werte: Was ist der fundamentale Wert, der durch dieses Thema berührt wird (z.B. Erhaltung des Lebensraums für alle Menschen und Tiere)

b) Beschreibung: Wie ist der aktuelle Zustand ? (z.B. Klimawandel)

c) Ablehnung: Was ist an diesem Zustand nicht gut und sollte verbessert werden? (Zerstörung von Lebensraum, Umweltkatastrophen, etc.)

d) Analyse: Was sind die Gründe, warum dieser Zustand entstanden ist? (z.B. menschliche Lebensweise)

e) Zielbild: Wie sieht ein erstrebenswertes Bild der Zukunft aus, das zu den Werten passt? (z.B. gesunde Umwelt)

f) Handlung: Was ist zu tun, um diesen idealeren Zustand zu erreichen? (klimaneutrale Mobilität, weniger tierische Ernährung)

Vor allem die starke Werteorientierung gibt dem Frame ein großes Potential, die Menschen emotional zu erreichen. An sich ist das keine "Rocket-Science". Aber vergleichen Sie diese Struktur mal mit einer durchschnittlichen Rede eines CEO. Hier dominieren oft Fachbegriffe oder Buzzwords (siehe Einleitung). Des Weiteren fehlt sehr oft der Begründungszusammenhang, insbesondere wenn sich die Kommunikation ausschließlich auf Finanzziele beschränkt.

Warum sollte man etwas anders tun, als man es in der Vergangenheit getan hat. Was ist so erstrebenswert daran, den Umsatz zu verdoppeln? Warum wollen wir agil werden, was heißt das und sind Hierarchien nun auf einmal schlecht?

Wenn Antworten auf diese Fragen offenbleiben, ist es fast schon Glückssache, ob Menschen verstehen, was zu tun ist und dies rational und emotional mittragen. Die Relevanz für den Alltag und die Sinnhaftigkeit des Gesagten muss deutlich werden, um die Zielgruppe zu erreichen. Klingt banal? Vielleicht. Dennoch wird dieser Aspekt regelmäßig ignoriert. Bauen Sie doch Ihre nächste Rede mal an der obigen Struktur auf. Sie werden merken, die Rede klingt anders.

Die nachhaltige Wirkung entsteht durch die Verkettung von Frames

In politischen Kontexten gibt es Frames auf den unterschiedlichsten Ebenen. Diese reichen von sehr fundamentalen Frames zu einer Weltsicht oder Ideologie (z.B. "Die Welt sollte von sozialer Gerechtigkeit geprägt sein – der Turbokapitalismus steht diesem Ziel entgegen") bis hin zu sehr konkreten handlungsorientierten Frames ("Wenn wir nächsten Samstag vor der EZB in Frankfurt demonstrieren, tragen wir zu mehr sozialer Gerechtigkeit bei").

Interessant ist dabei, dass die Frames einer sozialen Bewegung immer auf den gleichen Wertekanon abzielen und die konkrete Handlung in der Regel mit der fundamentalen Weltsicht verknüpft wird. So wird jeder Handlungsaufruf für eine Aktion bedeutsam und dient einem größeren Ganzen.

Auch die Unternehmenswelt kennt Frames auf unterschiedlichen Ebenen, die von Vision und Purpose, über Unternehmensziele und Strategien bis zur Begründung von Kurzarbeit reichen. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass diese Frames oft unverbunden nebeneinanderstehen. Aber was bringt es, auf der Ebene des Purpose die Legitimation des Unternehmens deutlich zu machen, wenn diese danach nie wieder eine Rolle spielt, weil die Strategie nur noch eine Umsetzungsanleitung für die Erreichung von Finanzzielen ist? Auch für Unternehmen gilt daher, die konkrete Einzelaussage dahingehend zu überprüfen, welchen Beitrag sie für das große Ganze leistet und dies auch klar zu formulieren.

Speziell für Führungskräfte – Sprechtherapie & Verhaltenstherapie

Soziale Bewegungen nutzen eine Vielzahl von kommunikativen Kanälen. Die vielleicht sichtbarste ist die große Rede charismatischer Symbolfiguren, wie beispielsweise Martin Luther King. Und nicht nur "I have a dream" zeigt, wie wirkungsvoll solche Reden sein können.

An der Stelle würde ich die Latte für Unternehmen allerdings ein wenig niedriger legen. Natürlich ist es großartig, wenn Führungspersonen in Unternehmen in ähnlicher Form die Leute begeistern können, wie King dies konnte. Für Führungspersonen in Unternehmen wäre es indes oft schon ausreichend, wenn diese wieder lernen würden, als normale Menschen mit normalen Menschen zu sprechen.

Leider leiden Führungspersonen häufig an einer Déformation Professionelle, die dann zu dem eingangs gescholtenen Geschwurbel führt. Wenn wir bei BridgeBrain mit Führungskräften an einem idealen Zukunftsbild des Unternehmens hinsichtlich der Vision oder der angestrebten Unternehmenskultur arbeiten, bitten wir die Führungskräfte häufig, eine Geschichte zu erzählen, was sie in diesem Unternehmen erleben – in ganz einfachen Worten.

Dies fällt oft unglaublich schwer und klingt zu Beginn immer wie eine PowerPoint-Präsentation für den Aufsichtsrat. Warum? Über die Jahre hat sich die Fachsprache auf der Zunge festgesetzt. Das ist auch ganz logisch, wenn die eigenen Rollenvorbilder es einem genauso vormachen und dabei die Erwartungshaltung bei einem selbst entsteht, so sprechen zu müssen.

Der Anspruch bei Reden zu Veränderungsthemen ist aber, dass diese Geschichte so erzählt werden kann, dass sie bei jedem Außenstehenden einen Film im Kopf auslöst. Wenn man diese Geschichte den eigenen Kindern oder der Großmutter so erzählen kann, dass diese verstehen, was gemeint ist, dann ist sie richtig. Das muss man aber üben. Der eindringliche Appell an die Führungspersonen dieser Welt lautet daher: LERNEN SIE WIEDER SPRECHEN, WIE NORMALE MENSCHEN!

Und wenn die Sprachtherapie angeschlagen hat, kommt noch die Verhaltenstherapie: TUN SIE, WAS SIE SAGEN! Sonst ist jede Geschichte verblasst, bevor Sie Working Capital sagen können. Wenn Gandhi den Soldaten ordentlich eins auf die Zwölf gegeben hätte, anstatt sich friedlich zu setzen, wäre es mit dem gewaltlosen Widerstand schwierig geworden.

Die Darreichungsformen des Wirkstoffs sind vielfältig

Auch wenn die "große" Rede die sichtbarste Form der Mobilisierungsarbeit ist, so ist sie doch wahrscheinlich nur einer von vielen Bestandteilen. Plakative Namen der Bewegung ("Fridays for Future"), Claims ("Make Love not War"), Ausdrücke der Zusammengehörigkeit ("Wir sind die 99 Prozent"), Symbole wie das Peacezeichen oder die Guy Fawkes Maske der Anonymous-Bewegung, Musik ("We shall overcome"), eindrückliche Aktionsformen ("Das Sit-In" oder der "Zombie-Walk"), der Aufkleber "...eating animals" auf dem Stop-Schild an der Verkehrskreuzung - all dies sind Beispiele für die Vielfalt von Kommunikationsformen und -kanälen, derer sich soziale Bewegungen bedienen.

Unternehmen hingegen lieben die Hochglanzbroschüre mit dem Wertekanon, die häufig das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt ist. Kommunikation, die die Menschen erreicht, muss kreativ aber nicht unbedingt teuer sein. Soziale Bewegungen haben in der Regel kein Geld, was bekanntlich erfinderisch macht. Vielleicht müsste das Management manchmal buchstäblich eine Demo im eigenen Unternehmen organisieren, Plakate mit Parolen entwerfen und Symbole schaffen.

Genau diese Übung nutzen wir übrigens, wenn wir mit Führungskräften daran arbeiten, wie sie ihre Botschaft in die Organisation tragen. In der Regel entsteht dabei keine echte Demo, aber eine Menge kleiner guter Impulse, die symbolisch für die Idee stehen und mehr bewirken als jede professionelle PR-Kampagne.

Das Platzieren des CEO-Arbeitsplatzes mitten in die Produktion, das Aufheben des Zigarettenstummels durch den Chef der Reinigungsfirma, die sichtbar in der Lobby aufgestellte Trendkurve zu einem Thema, das allen wichtig ist, die Durchführung eines öffentlichen Stakeholder-Dialogs mit den größten Unternehmenskritikern – all dies sind reale Beispiele von plakativer Kommunikation zu Veränderungsthemen. Manches erfordert Mut, aber es zahlt sich aus.

Die gute Nachricht – die Therapie macht Spaß

Die Therapie gegen Corporate-Sprech ist so facettenreich, dass sie hier nur angerissen werden kann. Das Gute an dieser Medizin ist aber, dass sie nicht bitter ist. Im Gegenteil tut die dabei entstehende Emotionalität allen gut und wirkt. Und eigentlich ist die Therapie auch gar nicht so kompliziert.

Im Twitter-Stil könnte man sie so zusammenfassen:

1. Erzählt eine Geschichte, die Sinn macht, an die ihr glaubt und die relevant ist

2. Lernt normal Sprechen & Tut was Ihr sagt

3. Seid kreativ und mutig in der Vermittlung

Wenn jetzt noch die Impflogistik funktioniert, kann es bald vorbei sein mit der Seuche. Also lasst uns für Unternehmen kämpfen in denen menschlich gesprochen wird! Stoppt Corporate-Sprech!

Hier herunterladen
Thorsten Voigt
Verfasst von
Thorsten Voigt
thorsten.voigt@bridge-brain.com

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